Wo und wie wird der Mindestlohn umgangen?

Laut einer Studie der Hans-Boeckler-Stiftung gehörten auch 2017/2018 nach Einführung des Mindestlohns Betrügereien an der Tagesordnung. Demnach wurde ungefähr jeder zehnte Beschäftigte unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns bezahlt. Dabei macht sich der Arbeitgeber beim Umgehen des Mindestlohns strafbar und begeht eine illegale Handlung. Welche Branchen ganz besonders davon betroffen sind und mit welchen unlauteren Praktiken und verbotenen Tricks Arbeitgeber hierbei vorgehen, schildern die folgenden Beispiele.

Ganz besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe (38 %) und im Einzelhandel (20 %) waren viele Angestellte in den vergangenen Jahren von unerlaubt geringer Bezahlung betroffen. Ein übler Trick der dortigen Arbeitgeber ist es zum Beispiel, mit einem Gewerbeschein „erworbene Dienstleistungen“ ausführen zu lassen. Somit können Gaststätten- und Barbetreiber auch weiterhin deutlich weniger als den Mindestlohn auszahlen. Schließlich bestimmt der Beschäftigte, zu welchem Preis er seine Leistung anbietet. Dabei verliert die Arbeitnehmerseite doppelt. So bleibt der Beschäftigte nicht nur auf schlechten Lohnbedingungen sitzen, sondern geht auch bei Sozial- und Rentenabgaben leer aus. Für diese muss der „scheinbare“ Auftraggeber nämlich nicht aufkommen – sondern der Dienstleister bzw. Arbeitnehmer selbst. Diese Methode bewegt sich haarscharf am Rand der verbotenen Scheinselbstständigkeit und zwar moralisch verwerflich, aber laut Gesetz leider legal.

Eine dagegen absolut illegale Praktik ist es jedoch, einen Teil des Lohns in Form von Gutscheinen auszuzahlen. Ob Essensgutscheine für Restaurant-Mitarbeiter oder Kinos, die Filmgutscheine ausgeben, oder Solarium-Coupons für Sonnenstudio-Angestellte – der kriminellen Fantasie betrügerischer Arbeitgeber sind häufig kaum Grenzen gesetzt. Auch die Lohnvergütung durch Sachleistungen ist verboten. Schließlich müssen Arbeitnehmer selbst darüber entscheiden können, wofür sie ihr Gehalt ausgeben möchten. Denn die Hauptfunktion des Lohns für einen Arbeitnehmer ist es, dass er damit seinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Kinokarten sind keine wirkliche Hilfe dabei, die monatliche Miete, den benötigten Strom oder der Wocheneinkauf zu bezahlen.

Den häufigsten Täuschungsbetrug stellt die gefälschte Dokumentation der Arbeitszeitkonten dar. Dabei werden schlicht- und ergreifend weniger Stunden aufgeschrieben und vergütet, als der betroffene Mitarbeiter tatsächlich gearbeitet hat. Was tatsächlich entlohnte Arbeitszeit betrifft, kann zum Beispiel so mancher Taxifahrer erzählen. So wollten einige Arbeitgeber im Jahre 2017 ihren Fahrern die Wartezeiten nicht vollständig entgelten oder eine korrekte Bezahlung davon abhängig machen, dass alle drei Minuten ein Bereitschaftssignal gesendet wurde. Auch diese Vorgehensweise verstößt klar gegen das geltende Mindestlohngesetz.

Natürlich muss jedem Arbeitnehmer geraten werden, der um seinen gerechten Mindestlohn gebracht wird, sich dagegen zu wehren. Doch gerade viele Geringverdiener fürchten sich aus Angst vor Jobverlust davor, sich gegen einen solchen Betrug aufzulehnen. Dies dürfte wohl erklären, warum sich Paketzusteller „freiwillig“ damit einverstanden zeigen, nicht nach geleisteter Arbeitszeit, sondern pro ausgeliefertem Paket bezahlt zu werden. Bei den viel zu knapp kalkulierten Auslieferungszahlen pro Stunde läuft diese Milchmädchenrechnung allerdings zwangsläufig aus dem Ruder und bedeutet zum Monatsende ein Gehalt, das deutlich niedriger als der halbe Mindestlohn ausfällt.

Arbeitnehmer sollten sich niemals auf eine rein erfolgsabhängige Bezahlung einlassen, sondern immer darauf bestehen und achten, dass ihnen der gesetzliche Mindestlohn pro Stunde wenigstens zugesichert ist. Ansonsten gibt man sich wissentlich damit einverstanden, dass Opfer eines existenzbedrohenden Betrugs zu sein. Vergehen dieser Art ahndet der Zoll als zuständige Behörde im Kampf gegen Schwarzarbeit. Werden Arbeitgeber beim Mindestlohnbetrug erwischt, drohen ihnen Strafen – in der Regel in Form von Bußgeldern. Eine Geldbuße bis zu 500.000 Euro ist je nach Sachverhalt laut Mindestlohngesetz durchaus im Bereich des Möglichen.