Die Europäische Union (EU) besteht derzeit aus insgesamt 28 Mitgliedsstaaten, wenn man Großbritannien noch dazu zählen möchte. Arbeitnehmer bekommen in den meisten dieser Länder einen gesetzlichen und branchenunabhängigen Mindestlohn. Es gibt jedoch in Europa auch Staaten, in denen es zumindest keine vom Gesetzgeber vorgeschriebene Lohnuntergrenze gibt. Zu diesen Staaten zählen vor allem Dänemark, Finnland, Italien, Norwegen, Österreich, Schweden und Zypern. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass keine Mindestlöhne in diesen Ländern ausgezahlt werden. Denn meistens sorgt eine über Tarifverträge hoch angesiedelte Tarifbindung für eine gerechte Entlohnung.
Da selbst in der Europäischen Union kein einheitlicher Mindestlohn herrscht, gibt es teilweise enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Besonders krass sieht das Gefälle im Vergleich zwischen Ost und West aus. In den osteuropäischen Ländern wie Polen, Litauen und Rumänien bewegen wir uns in einem Spielraum von 3 bis 2 Euro. In Albanien ist die Lohnuntergrenze z. B. nur noch bei 0,92 Euro angesetzt. Slowenien ist mit 5,06 Euro dagegen nur einsamer Spitzenreiter.
Im westlichen Europa liegt der gesetzliche Mindestlohn im starken Gegensatz dazu stets höher. Als Beispiel sei hier unser direkter Nachbar Frankreich genannt mit 10,03 Euro. Während die Deutschen übrigens erst 2015 in den Genuss des Mindestlohns kamen, freuten sich die Franzosen bereits 1950 über die Einführung einer festen Lohnuntergrenze. Absolute Favoriten sind die Luxemburger, die mindestens 11,97 in der Lohntüte haben müssen. Das Großherzogtum war das allererste Land in Europa, das einen Mindestlohn im Jahre 1944 gesetzlich verankerte.
Die Frage, ob wenigstens in der EU ein einheitlicher Mindestlohn festgelegt werden sollte, um das Lohndumping vor allem in den osteuropäischen Ländern zu bekämpfen, wird heftig diskutiert und gilt als nicht unumstritten. Im Jahr 2014 griff der damalige EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker das Thema gemeinsame Lohnuntergrenze wieder auf. Im Europa-Wahlkampf 2019 forderte besonders die SPD in ihrem Wahlprogramm den einheitlichen Mindestlohn. Dies soll dadurch gewährleistet werden, dass alle Mitgliedsstaaten mindestens 60 Prozent des so genannten nationalen Medianlohns erfüllen. Der nationale Medianlohn – auch mittleres Einkommen genannt – bezeichnet die Einkommenshöhe, von der aus gesehen die Anzahl der Haushalte mit niedrigeren Einkommen gleich groß ist wie die der Haushalte mit höheren Einkommen.
Kritiker sehen darin massive Eingriffe seitens der EU hinsichtlich der eigenen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eines Landes. Die Verantwortung bei der Gestaltung der Sozialsysteme sollte ihrer Meinung nach in den Händen der nationalen Regierungen bleiben. Außerdem müsste dann eine neue übergreifende Behörde geschaffen werden, die die Einhaltung des einheitlichen Mindestlohns bei allen Mitgliedsstaaten umsetzt und fortlaufend kontrolliert.
Dennoch können diese Bedenken nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kluft zwischen armen und reichen Ländern innerhalb der EU immer größer wird und für enorme Schwierigkeiten sorgt. Arbeitskräfte werden in osteuropäischen Ländern schlichtweg ausgebeutet und leben teilweise in äußerster Armut unterhalb des Existenzminimums. Viele westliche Großkonzerne nutzen diese Situation schamlos aus, schließen u.a. in Deutschland ihre Werke und wandern in diese Niedriglohn-Staaten ab. Dies sorgt wiederum dazu, dass kleine und mittelständische Betriebe hierzulande nicht mehr im internationalen Wettbewerb mithalten können. Ein einheitlicher Mindestlohn würde dies alles verhindern.
Und was die Kritiker nicht bedenken: Der Mindestlohn ist in Deutschland besonders auf Druck der SPD eingeführt worden und hat sich seitdem mehr als positiv auf den allgemeinen Wohlstand der Bevölkerung ausgewirkt. Die Sozialdemokraten haben daher ein großes Interesse daran, dieses soziale Erfolgsprogramm auch im gesamten Europa durchzusetzen.
Natürlich kann dieser Lohn kein nominal festgelegter Mindestlohn sein, sondern muss koordiniert in der EU gestaltet werden, wie es die Orientierung am Medianlohn erlaubt. Diesen feinen Unterschied haben die Kritiker eines einheitlichen Mindestlohns ebenfalls nicht verstanden. Denn dadurch findet keine Bevormundung von außen statt, sondern es handelt sich um eine gemeinsam entworfene europäische Lohnpolitik gemessen an nationalen Lohnentwicklungen. Das Prinzip der Europäischen Union muss sich im Rahmen einer nachbarschaftlichen, solidarischen und fairen Gemeinschaft auch beim einheitlichen Mindestlohn widerspiegeln. Sozial gerecht für alle, wie auch das Credo der SPD lautet.